Geschichte des Gehörlosenverein Wallis
7. Die Gehörlosen und die Religion
Geschichte
Die Geschichte der Gehörlosen ist seit jeher eng mit der Religionsgeschichte verbunden. Die Verbindung ist aber durchaus zweideutig. Zwar kümmern sich Pfarrer und Klosterfrauen, vor allem mit dem Abbé de l’Epée um das Wohl von gehörlosen Personen, aber sie werden auch oft ausgeschlossen, wie zu Beginn des XIX. Jahrhunderts, als man sie für unfähig hält, sich intellektuell zu entwickeln und die Botschaft Gottes aufzunehmen. In der Schweiz kämpft Johann Konrad Naef, Gründer des ersten Schweizer Instituts für taubstumme Kinder in Yverdon gegen dieses Vorurteil und 1813 schafft er es, dass einer seiner Schüler zur Kommunion zugelassen wird. Dieses Ereignis ist in der damaligen Zeit derart wichtig, dass es in einer Zeitung erwähnt wird. Im Wallis, einem blühenden katholischen Kanton, werden die Gehörlosen ab Ende des XIX. Jahrhunderts von den Schwestern von Géronde, dann von Bouveret betreut.
Nach dem Austritt aus dem Institut geht jeder seinen Weg, aber 1963 äussert eine Gruppe junger Westschweizer Walliser Mädchen (zwölf ehemalige Schülerinnen aus Bouveret) den Wunsch, sich wieder zu treffen. Sie beschliessen, das Institut nochmals zu besuchen. Die Initiative ergreift Hélène Revaz, die sich ebenfalls um das Unterhaltungsprogramm der Gruppe kümmert und schliesslich zur Gründung einer Gemeinschaft führt. Der Benediktiner Pater Gérard Hänni begleitet sie. Ziel ist es, sich drei oder viermal pro Jahr zu treffen und eine Gruppe von Freunden zu bilden. Diese Gemeinschaft nennt sich am Anfang „Notre Amitié“ (unsere Freundschaft).
1969 unternimmt die Gemeinschaft und zahlreiche Mitglieder des GVW eine Pilgerfahrt nach Lourdes. Eine zweite Pilgerfahrt nach Lourdes findet 1978 statt.
Die Walliser Gehörlosen bitten die Synode und den Bischoff, ihnen einen Pfarrer zu bewilligen. Im September 1975 wird Pfarrer Firmin Rudaz gewählt. Ein Vorstand wird gebildet und jeden Monat Messen in Sitten, Martigny, Ayent oder Monthey gefeiert.
Die Gemeinschaft kümmert sich auch um die Organisation verschiedener Feiern, vor allem an Weihnachten.
Im August 1981 organisieren der GVW und die Gemeinschaft zusammen einen Ausflug. Mehr als siebzig Personen nehmen teil. Nach einer kirchlichen Feier, besucht man den Zoo von Servion und am Nachmittag geht’s nach Greyerz.
1984 ist die religiöse Gemeinschaft, immer noch unter der Präsidentin Danielle Revaz, bereits seit vielen Jahren aktiv. Die Messen von Firmin Rudaz werden gut besucht und finden entweder in Sitten, Martigny, Ayent oder in einer hörenden Kirchgemeinde wie St-Guérin, Saxon, Charrat, Salvan, les Maröcottes, Conthey, Baar, Vex oder in Montana und Arbaz statt. Die gehörlosen Walliser sind ihrer Gemeinschaft sehr verbunden. Die Gemeinschaft kümmert sich auch um die jüngeren ; die beiden Katechetinnen Danielle Revaz und Marie Maret mit Spezialschulungen, sind für die gehörlosen Kinder der Klassen in Sitten verantwortlich. Jede Woche unterrichten sie Religion. Eine kleine Gruppe nimmt an einem Austausch und einer Reflexion über die Bibel beim Pfarrer teil und die Feiern werden gemeinsam oder abwechselnd mit dem GVW oder dem APEDA vorbereitet.
Beim Besuch von Papst Johannes Paul II 1984 in Sitten, sind die Gehörlosen dabei und Marlyse Beney dolmetscht in Gebärdensprache.
1990, nach dem Tode von Firmin Rudaz, wird dank der Bemühungen der Präsidentin der Walliser Kirchgemeinde, Danielle Revaz, ein neuer Pfarrer vom Bischof der Diözese Sitten, speziell für die Walliser Gehörlosen ernannt. Es handelt sich um Pfarrer Jean-Michel Lonfat. Er beginnt sein neues Amt im April 1990 mit einer Messe in Vex. Der sehr fleissige, neue Pfarrer kommt jede Woche vom Grossen St. Bernhard bis in die Walliser Hauptstadt, um einen Gebärdensprachkurs zu besuchen.
Im Februar 1996 wird von der Katholischen Gemeinschaft ein Treffen organisiert und ein Grossteil der Mitglieder kommt nach Collombey. Nach der Messe in der Bernhardiner Klosterkapelle, speziell vorbereitet vom Vorstand der Kirchgemeinde, hält Schwester Camille einen Vortrag über die Geschichte des Klosters Collombey und über den Alltag im Kloster.
Im Oktober 1998, organisiert die Gemeinschaft einen Ausflug mit den Sektionen Kegeln und Fussball : eine Velofahrt Richtung Saint-Léonard. Durch die Gruppierung der Sektionen sind vielfältige Aktivitäten möglich. Gegen Abend wird in der kleinen Kapelle von St. Nicolas eine Messe gefeiert.
Die Katholische Gemeinschaft der Gehörlosen gibt es auch heute noch und führt wacker ihre Aktivitäten weiter, immer mit der Unterstützung vom amtierenden Pfarrer Lonfat.
Grussbotschaft von Hélène Revaz
Die Walliser Gehörlosen feiern dieses Jahr ihr 75-Jahr Jubiläum. Dreiviertel eines Jahrhunderts ist ein langer Weg mit vielen Erinnerungen.
Im Wallis sind wir mehrheitlich katholisch. Die Katholische Gemeinschaft hat deshalb immer einen Platz im Leben der Gehörlosen gehabt. Pfarrer haben sie von Anfang an begleitet und bei Treffen, vor allem bei der traditionellen Weihnachtsfeier oder auch an Hochzeiten, die Feierlichkeiten zelebriert. Ich kann nicht über die 40er und 50er Jahre berichten, da ich damals noch nicht bei den Gehörlosen dabei war. Aber ich kann über die Zeit der 60er bis 80er Jahre vom kirchlichen Leben der Gehörlosen erzählen.
Im Sommer 1963 wird „Notre Amitié“ (unsere Freundschaft) mit einem Treffen von jungen gehörlosen Mädchen, vorwiegend ehemalige Schülerinnen von Bouveret gegründet. Ausflüge, Wochenenden oder Pilgerfahrten werden organisiert, begleitet von einem Pfarrer, der die Messe zelebriert. Eine Zeitschrift unterhält den Kontakt. „Notre Amitié“ existiert über Jahre. Ich durfte die Gruppe während 20 Jahren begleiten, eine Zeit voller Erinnerungen. Mit der Einsetzung von Pfarrer Frimin Rudaz wurde die Gemeinde nach und nach zu etwas wie einer Kirchgemeinde. Mittlerweilen findet regelmässig durchschnittlich eine Messe pro Monat statt. 1989, nach dem Tod von Firmin Rudaz, wurde Pfarrer Jean-Michel Lonfat sein Nachfolger. 25 Jahre später ist er immer noch da, seiner Aufgabe treu, uns zu begleiten und immer wieder den weiten Weg vom Hospiz des Grossen St. Bernhard auf sich zu nehmen, um uns zu treffen und die Botschaft und das Brot des Lebens zu bringen.
Auch wenn die Katholische Gemeinschaft der Gehörlosen im Wallis einen langen Weg mit vielen schönen Erinnerungen hinter sich hat, darf man nicht vergessen, dass dies dem Verständnis des Bischofs von Sitten zu verdanken ist, der verstanden hat, dass wir, die Gehörlosen, einen eigenen Pfarrer brauchen. Auch verdanken wir dem Stift des Grossen St. Bernhard, dass einer ihrer Brüder uns betreut. Die Katholische Gemeinde muss lebendig und brüderlich bleiben, sie muss ihren Weg trotz der schwierigen Zeit und störendem Gegenwind fortsetzen. Junge Kräfte haben das Steuer übernommen, treue und motivierte Menschen, die das Gute bewahren und Fortschritte bewirken können.
Alles Gute unserer Gemeinschaft !
Hélène Revaz